Folge 1.4: Hawaii

Am Gate steht eine junge Frau, die Sonnenbrille hat sie in die braunen Haare gesteckt, die auf dem Hinterkopf einen Knoten bilden. Sie trägt einen kurzen, blauen Rock und Flipflops. Das weite Shirt ist auf von der rechten Schulter auf den Oberarm gerutscht und zeigt den Träger eines gelb-orangen Bikini-Oberteils. Sie hält ein Schild in der Hand. „Esther“ steht auf dem Schild, sonst nichts. Zwei Männer schauen zu ihr hinüber, sie tragen Hawaii-Hemden und haben Kameras umhängen. Sally Marsh versucht sich nicht anmerken zu lassen, dass sie durchaus erkennt, dass die beiden Herren keine Touristen sind, sondern Reporter. Noch sind die beiden sich nicht sicher, ob mit dem Schild Esther Goldstein-Howard gemeint ist. Esthers Maschine muss eigentlich schon gelandet sein, aber noch ist nichts von den Passagieren zu sehen. Marsh mustert ihr Telefon kurz, als sie ein Bild gesendet bekommt: Ein viersitziger schwarzer Sportwagen vor einer Parkplatznummer, daneben ist eine Zugangsnummer zu sehen. Sie antwortet mit einem gehobenen Daumen auf die Message von Willard Sanders, dann tippt sie: „Fluchtwagen könnte nötig sein.“ Sie schreckt vom Handy-Display auf, als Passagiere mit Handgepäck aus dem Gate zu tröpfeln beginnen. Auch die beiden Männer mit Kameras mustern den Strom von Ankömmlingen aufmerksam – doch Marsh entdeckt Esther Goldstein-Howard zuerst. Zielstrebig fängt sie die Milliardärswitwe ab und nimmt ihr den Trolley mit dem Handgepäck aus der Hand. Bevor die Journalisten vollends begreifen, dass tatsächlich Esther Goldstein-Howard angekommen ist, sind die beiden Frauen bereits auf dem Weg zum Ausgang. Einige Male klacken die Kameras noch, doch dann sind die beiden Frauen hinter einer Wand verborgen und streben dem Ausgang zu. „Will Sanders wartet an Parkzugang 17 mit dem Wagen, Mrs. Howard.“ Esther nickt, dann bittet sie: „Nenne mich doch endlich Esther, Sally. Schließlich verbindet uns wesentlich mehr als die Beziehung einer Kundin zu ihrer Kosmetikerin.“ Als die beiden Frauen bei Sanders ankommen, hat dieser bereits den Kofferraum geöffnet. Er mustert Esthers Jeans und Stiefel und zwinkert: „Ist es in Frisco so kalt?“ Er selbst trägt Shorts, Turnschuhe und ein T-Shirt. Esther reagiert kaum, Sally Marsh hält ihr die Tür zum Fonds auf, dann steigt sie ebenfalls hinten ein. Als die beiden als Touristen aufgemachten Reporter durch den Ausgang herauskommen, sehen sie nur noch die Rücklichter des Wagens.

„Flucht von HNL!“ lautet etwas später die Schlagzeile zweier Klatsch-Portale. Dorothy Howard-Fieldings Besuch bei Howard Industries und auch eine Untersuchung eines Brandes auf dem Firmengelände, die die Bundesbehörden an sich gezogen haben, sind im Verhältnis zu den exklusiven Bildern von „Charles Howards lustiger Witwe“ auf Hawaii nur Fußnoten wert.

In einer kleinen Tiefgarage stellt Sanders den Wagen zwischen einem sportlichen Mercedes-Cabriolet in Silber und einer roten Chevrolet Corvette ab. Er lässt es sich nicht nehmen, beiden Frauen die Tür aufzuhalten. „Willkommen auf Oahu, Mrs. Howard.“ Esther lächelt abwesend, dann fasst sie sich und entschuldigt sich für die fehlende Begrüßung am Flughafen. Sanders winkt ab. Er trägt Esthers Handgepäck hinter den beiden Frauen her, während diese eine breite Wendeltreppe hinaufsteigen. Esther drückt heftig die Lippen aufeinander, als sie in den runden, zweistöckigen Saal kommen, über den sich eine Kuppel aus Glas spannt. „Ich bringe ihren Koffer ins Schlafzimmer, wenn ihnen das recht ist, Mrs. Howard. Miss Marsh ist im südlichen Gästezimmer untergebracht.“ Esther nickt. „Irgendwann muss ich mich damit konfrontieren. Ich kann nicht ins nördliche Gästezimmer vor der Leere flüchten, nicht auf Dauer zumindest“, erklärt sie mit zitternder Stimme. Marsh erwidert, wenn Esther noch mehr Zeit brauche, solle sie sich diese nehmen. Diese aber schüttelt den Kopf und erklärt, es gebe viel zu tun. Nicht nur Sally Marsh und Will Sanders, auch Esther selbst ist klar, dass sie die Geschäftigkeit nur zur Ablenkung von der Trauer benutzt. Marsh begleitet sie nach oben und hält Esther und Sanders die Tür auf, bevor sie hinter den beiden von der Galerie ins Schlafzimmer tritt. Esther steht auf dem matt geschliffenen, weichen Holzboden und starrt durch den weiten, ovalen Raum, an dessen einer längerer Seite sie eingetreten sind. Helle Holzpaneele mit Knäufen markieren die gesamte zum Haus gewandte Seite, auf der anderen Seite ist die Begrenzung des Raumes nur ein geschnitztes, helles Holzgeländer, über das sich der Blick auf einen großen, parkartigen Garten und das Meer öffnet. Inmitten des riesigen Ovals steht ein rundes, drei Meter durchmessendes Bett mit einem weißen Vorhang darüber. Marsh schluckt, dann entfährt es ihr: „Wow!“ Sanders grinst und kommentiert, er hätte vielleicht doch eine Führung mit Marsh machen sollen. Leise erklärt er ihr, dass Esther keineswegs überrascht sei, sie kenne das Haus schließlich sehr gut. Es seien wohl die Erinnerungen an gemeinsame Stunden mit Charles Howard. Als löse diese Erläuterung die Erstarrung, dreht sich Esther abrupt um: „Ich kenne diesen Raum. Es ist nur die Erinnerung. Aber ich habe keine Zeit für Charles Howards Lustschloss oder irgendwelche Reminiszenzen. Liegt die ‚Charlotte Howard‘ bereits vor dem Anwesen?“ Sanders bejaht die Frage, doch Esther hat sich durch ein paar rasche Schritte an das Geländer und einen raschen Blick über die kleine Bucht bereits davon überzeugt, dass die große, weiße Yacht vor dem Strand ankert. Dann bittet sie darum, kurz allein gelassen zu werden.

 

 

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