Folge 1.22: Es steht geschrieben

Claire Howard starrt ungläubig auf ihren Fernsehbildschirm. Riesengroß prangen Schriftzüge an Öltankern, sie leuchten in der Dämmerung des Morgens. Der Kommentator erklärt: „Am Morgen sind sieben Tanker in Seattle beziehungsweise Vancouver eingelaufen, auf deren Flanken fluoreszierende Schriftzüge prangten. Die Schriftzüge waren jeweils so angebracht, dass sie von Land aus gesehen werden konnten. Etwa eine Stunde nach Tagesanbruch endete das Leuchten, die hellviolette Chemikalie auf den Rümpfen verflüchtigte sich bis zum Mittag völlig. Umweltschäden wurden bisher nicht gemeldet.“ Claires Katze buhlt vergeblich um die Aufmerksamkeit ihres Frauchens. „Einwandig = Ölpest“ steht auf einem der Schiffe, „Profit über Sicherheit“ auf einem zweiten. Bei einem lokalen Sender aus Seattle wird berichtet, dass die Schriftzüge bereits bei der Vorbeifahrt an der kanadischen Stadt Victoria leuchtend auffielen. „Mein Gott, wie klasse! Hoffentlich nichts Giftiges“, murmelt Claire in sich hinein.

Esther beherrscht sich meisterhaft, als sie die von Liz Ames weitergeleiteten Videos des CNN-Berichts und des lokalen Berichts aus Seattle auf ihrem Smartphone anschaut. Sie zeigt weder den Triumph, den sie empfindet, noch gibt sie dem Drang nach, sich vor Lachen auszuschütten. Der stark gebräunte, arabisch aussehende junge Mann neben ihr grinst. „Große Schwester, lass es doch raus, was dir auf der Seele liegt!“ Esther schüttelt den Kopf. „Nicht hier, Eli, nicht jetzt.“ Sie umfasst Waikiki Beach mit einer Handbewegung. „Die beobachten alles.“ Doch Eli versteht nicht. Schulterzuckend erneuert er seinen Sonnenschutz und reibt dann auch den Rücken seiner älteren Schwester ein. Will Sanders kommt mit einem Tablett voller Cocktails heran und stößt gegen einen Mann mit einer Kamera, der sich plötzlich umgedreht hat. „Passen sie doch auf“, fährt er den Paparazzi an, der von seinem vermeintlichen Surfer-Fotomotiv abrupt auf Esther umgeschwenkt hat, als diese sich aufrichtet, obwohl Eli ihr Oberteil noch nicht wieder zugemacht hat. „Meinst du, er hat sein Bild bekommen?“, fragt Sanders seine Chefin. Sie lacht und schüttelt den Kopf. Eli grinst, er hat schnell gehandelt und verhindert, dass die nackten Brüste seiner Schwester für die Kamera entblößt wurden. Er nimmt sich einen der beiden Blue Hawaiian vom Tablett, Sanders hält sich an den Virgin Colada. Auf Elis Frage, ob Esther amüsiert oder bestürzt über die Aktion der Umweltschützer an der Westküste sei, hüllt sie sich in Schweigen. Sie lehnt sich zurück und zwinkert: „Ich erzähl’s dir später, Bruderherz. Ich hoffe, es ist nicht schlimm, dass ich dich gleich am ersten Tag an den Strand entführe. Wie hat dir eigentlich der Wehrdienst gefallen?“ Eli zuckt die Schultern. Der Strand und der Pazifik gefallen ihm, auch das warme, aber nicht ganz so heiße Klima, so hat er nichts dagegen, dass seine Koffer noch unausgepackt auf dem Anwesen stehen. Zum Wehrdienst hat er mehr zu sagen. Er habe viel gelernt, sei fitter geworden, aber eigentlich ziehe er vor, dass es keinen Krieg mehr gebe. Forschend fragt Esther ihn, was für ihn denn ein Grund sei, die Waffe in die Hand zu nehmen. Darauf weiß er keine Antwort. Erst viel später, nach einem recht peinlichen Versuch mit dem Surfboard und mehreren Badegängen, als Sanders sie in der schwarzen Limousine wieder zum Anwesen zurückfährt, erklärt Eli unvermittelt: „Wenn dich jemand bedroht. Oder gegen diesen ganzen Mist, der unseren Planeten kaputt macht, da würde ich schon eine Waffe erheben. Aber es bringt ja nichts. Gegen wen will man da kämpfen?“ Sanders beobachtet Esther im Rückspiegel sehr genau, doch sie lässt sich nicht anmerken, dass sie auf eine solche Antwort gehofft hat.

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