Folge 1.28: Leidenschaften

Einer der Senior-Partner von Liz Ames betritt das Büro der jungen Anwältin: „Wie lief’s gestern vor Gericht?“ Liz hebt die Brauen und schiebt eine Mappe zur Seite. Sie wiegt den Kopf hin und her. „So lala. Aber solange die Richter sich noch nicht einmal darüber im Klaren sind, ob sie die Anfechtung des Howard-Testaments überhaupt zulassen, kann und will ich mich nicht beschweren. Von dem anderen Fall habe ich immer noch nichts gehört.“ Auf die Nachfrage des älteren Anwalts hin erklärt sie, der „andere Fall“ sei die Klage gegen Esther Goldstein-Howard und Thomas Arden wegen geschäftsschädigenden Verhaltens gegenüber Howard Industries. „Du avancierst zumindest nach der Größe deiner Gegenspieler zu einem unserer Stars, Elizabeth. Eigentlich solltest du dir auch mal wieder was gönnen.“ Lachend erklärt sie, dass das letzte Mal, als sie einen Erfolg ausgiebig feierte, sie mit Restalkohol und Kater aus der Hölle bei Howard Industries einen „Fight“, wie sie es nennt, gegen Dorothy Howard-Fielding auszutragen hatte. Der ältere Anwalt grinst: „Vielleicht weniger Scotch, dafür teureren, was denkst du?“ Sie grinst: „Den dreißigjährigen, den der alte Howard mir verehrt hat, werde ich erst aufmachen, wenn ich einen der Prozesse gewonnen habe, Gregory.“ Nachdem er Kaffee für Liz und sich bei ihrer Sekretärin geordert hat, lässt sich der erfahrenere Jurist an Liz‘ Schreibtisch auf der Besucherseite nieder und setzt ihr einige Recherchen auseinander, die die Kanzlei zu Ardens und Goldstein-Howards Geschäftsgebahren in Auftrag gegeben hat. Eine Stunde später lehnt Liz sich zufrieden zurück: „Das wird sehr helfen, wenn sie die Klage tatsächlich einreichen. Was das Testament angeht, habe ich eine schlüssige Argumentation, aber leider keine Beweise. Aldred hat das vorherige Testament sicher noch, aber der alte Geier will es nicht rausrücken. Um keinen Preis der Welt – er gibt nicht einmal zu, dass er es noch hat. Dabei bin ich völlig sicher, dass er auf Esthers Seite ist.“ Gregory zuckt die Schultern. „Im Moment läuft es gut. Vielleicht solltest du das mal feiern, ohne dich abzuschießen. Was ist es denn für ein Dreißigjähriger?“ Der Themensprung erwischt die Anwältin kalt. Blinzelnd bekennt sie, dass sie keine Ahnung habe, wovon der Seniorpartner spricht. Dieser zwinkert ihr zu: „Na die Flasche Whisky, die der alte Howard dir geschenkt hat. Bourbon – oder ist es Scotch? Die könntest du zum Beispiel auch aufmachen, wenn wir dir eine Seniorpartnerschaft anbieten.“ Liz Ames‘ Kehle ist schlagartig wie ausgetrocknet. Doch sie braucht kaum eine Viertelsekunde, um sich zu fassen. Den hingeworfenen Köder schluckt sie nicht: „Laphroaig thirty years old. Scotch. Ich trinke doch keinen verdammten Bourbon, Greg!“ Lachend erwidert er: „Klingt teuer und widerlich. Die ganze verdammte Isle of Islay besteht doch nur aus Torf und Rauch, oder nicht?“ Liz grinst und nickt, dann nennt sie den Preis für eine Flasche. Greg pfeift durch die Zähne, dann steht er auf: „Vier von sechs Seniorpartnern halten dich für reif. Ich gehöre dazu. Es kann dauern, bis es einstimmig ist, aber ich dachte, du solltest das wissen.“ Nachdem er ihr Büro verlassen hat, steht sie auf und öffnet eine Vitrine an der Rückwand ihres Büros. Sie schiebt die beiden Pokale vom internen Pokerturnier der Kanzlei zur Seite und tippt nach sorgsamem Zielen mit dem Finger gegen einen unsichtbaren Druckpunkt unter dem grünen Filz in der Rückwand des Glasschranks. Die Rückwand schwingt auf, dahinter liegt ein schmales Fach. Ein Packen Kleidungsstücke aus schwarzem Gummi nimmt den größten Teil des Fachs ein. Ganz rechts daneben steht eine in Klarsichtfolie verpackte Holzkiste. Es ist der dreißigjährige Scotch aus der Destillerie Laphroaig. Ein kleiner Umschlag mit der handschriftlichen Aufschrift „Elizabeth Ames“ steckt ebenfalls in der Klarsichtfolie, ein schwarzes Lackband hält mit einer Schleife die durchsichtige Folie zusammen. „Senior-Partner“, murmelt Liz. „Ist das der Anlass dafür, oder erst das Abschmettern der Anfechtung des Testaments?“ Sie streicht über die Folie, dann über die Gummiklamotten. Dabei denkt sie mit gehässigem Grinsen an Bob Landsman und schließt entschlossen die doppelte Rückwand der Vitrine wieder. „Das entscheide ich wannanders!“

„Na, Großer? Gefällt’s dir hier?“ Will Sanders lehnt sich lässig an eine Säule und mustert Eli Goldstein. Der junge Israeli nickt und grinst, nachdem er seine Überraschung über Sanders‘ ungenierte Art überwunden hat. „Macht schon Spaß, so ein Anwesen und das Wetter hier. Der Wind und die Luftfeuchtigkeit sind ganz angenehm, verglichen mit zuhause.“ – „Lust auf eine Spitztour? Unser Custos schickt uns in die Stadt zum Einkaufen und wir haben die volle Auswahl, welches Auto wir nehmen. SLK? Corvette?“ Sanders wiegt die Schlüssel zu beiden Wagen in den Händen. Eli lacht und fragt, ob er fahren müsse. Sanders erwidert ironisch, er werde sich gerne opfern. „Du hast einen Riesenspaß daran, nicht wahr?“, fragt Eli, als die Corvette durch den Pali-Tunnel rollt. Grinsend nickt Sanders und fragt großspurig, ob seine Fahrweise Eli störe. Dieser grinst ebenfalls: „Nach dem zweiten Durchdrehen der Reifen habe ich aufgehört, mich in die Polster zu krallen. Als du dieses Geschoss die Serpentine hochgejagt hast, hat’s Spaß gemacht – so wie der Rollercoaster in Disneyland, nur real.“ Als sie zwei Stunden später über den Highway H3 wieder zur windwärtigen Seite der Insel fahren, den ganzen knappen Stauraum mit teuren, edlen Lebensmitteln gefüllt, fragt Eli vorsichtig: „Weißt du, was meine Schwester und diese Leute planen?“ Sanders zuckt die Schultern. „In groben Zügen. Es interessiert mich nur so weit, wie es meine Arbeit betrifft. Ich schütze das Anwesen, so gut es geht, vor Eindringlingen, vor allem vor der Presse, und spiele ein bisschen den ‚Thomas Magnum‘. Ich vergesse, oder erzähle zumindest nicht, wen ich auf dem Anwesen sehe. Das war’s. Ich könnte mir meinen Teil denken, aber was Mrs. Howard und Sally Marsh tun, geht mich nichts an. Vermutlich würde ich es gutheißen, aber nicht mitmachen. Und das ist alles.“ Eli nickt. In seinem Kopf hallt Esthers Frage wider: „Wofür würdest du die Waffe erheben?“ Was an seiner Antwort hat sie elektrisiert? Dass sie darauf reagierte, dass auch Sally Marsh darauf reagierte, dessen ist er sich gewiss. Dass er seine große, glamouröse Schwester mit der Waffe schützen würde, ist doch nicht so verwunderlich, oder ging es vielleicht doch um etwas anderes? Eli beschließt, darüber nachzudenken, ob er sie fragen will. Denn dass er eine Antwort erhalten wird, wenn er fragt, dessen ist er sich genauso gewiss.

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