Das Telefon klingelt penetrant. Mai Sakamoto seufzt, dann richtet sie sich auf und schaut sich um, mechanisch stellt sie die Verbindung her, nachdem sie zweimal danebengegriffen hat. Dann dämmert ihr, dass es nicht ihr Telefon ist. „Äh…“, stottert sie in das Mikrofon, um sich dann zu fassen: „Bei Claire Howard. Es tut mir leid, ich bin nur zu Besuch bei ihr.“ Mai erkennt Liz‘ Stimme am anderen Ende nicht, da sie Claires Telefon nicht gewohnt ist. Auch Liz Ames schaltet nicht: „Ist Miss Howard nicht da? Ich müsste sie persönlich sprechen.“ Mai verspricht, sich darum zu kümmern. Als sie an Claires Schlafzimmertür klopft, wird sie hineingerufen. Claire sitzt angezogen auf ihrem Bett und wirkt recht frisch: „Guten Morgen!“ Mai erklärt mit merklich schlechtem Gewissen, dass sie reflexhaft ans Telefon gegangen sei und jemand sie sprechen wolle. Doch Claire lächelt nur, bedankt sich und nimmt das Telefon entgegen. Liz Ames bringt all den Charme auf, den sie vor acht Uhr nach einer recht alkoholreichen Nacht zusammenkratzen kann: „Miss Howard, ich hätte ein etwas – delikates Anliegen. Es geht dabei um das Erbe ihres Vaters.“ Claire stöhnt auf: „Sind sie von der Kanzlei, die meine älteren Halbgeschwister vertritt? Ich dachte, Charles Junior und Dorothy machen das – und Onkel Nick.“ Liz entgeht zunächst der Unmut, der aus Claire spricht. Sie erwidert zögernd: „Ähm – nicht so ganz. Vielleicht sollten wir uns wirklich treffen. Kennen sie die Dachterrassenbar in der Mission Street, oberhalb von Pier 14? Sie wohnen doch in San Francisco?“ Es dauert einen Moment, bis Claire klar wird, dass es sich um genau die Bar handelt, in der sie am Vorabend mit Mai gewesen ist. „Hören sie, ich kenne nicht einmal ihren Namen. Ich kann auch heute Abend nicht. Ich treffe mich mit meiner Mutter.“ Noch im selben Moment bereut Claire, so viel offenbart zu haben. Es geht die Fremde nun wirklich nichts an, warum sie an diesem Abend nicht kann – oder ob sie sich einfach nicht auf eine solch zwielichtige Geschichte einlassen will. Doch Liz lässt nicht locker: „Ich bin Liz. Eigentlich ist es mir eilig, aber morgen Abend kann ich nicht. Übermorgen? Acht Uhr abends in der Dachterrassenbar? Denken sie darüber nach – ich werde da sein. Äh – schwarzes Kleid mit tiefem Rückenausschnitt. Ich werde an der Bar sitzen und die Haare aufgesteckt haben – blonde Haare.“ Claire zögert noch immer, aber sie wird neugierig, was die Fremde zu sagen hat. „Wie heißen sie denn mit Nachnamen?“ Liz lacht: „Das sage ich ihnen übermorgen. Ich stecke mir eine schwarze Stoffrose auf die aufgesteckten Haare. Das ist hinreichend auffällig, gerade in dem Laden. Wenn sie nicht kommen, versuche ich mir zu verkneifen, sie wieder zu belästigen.“ Dann drückt Liz einfach auf den Knopf und beendet die Verbindung. Triumphierend grinst sie ihre Tür an – und schrickt heftig zusammen, weil die Tür offen ist und ihre Sekretärin dort steht. „Ich wollte nur…“ Liz unterbricht sie: „Guten Morgen sagen, nicht? Ich war so in das Telefonat vertieft. Es war nicht das, was sie vermutlich glauben. Ich betätige mich als… Jane Bond, könnte man sagen. Wären sie so nett und brächten mir eine Tasse Kaffee? Bringen sie sich gleich noch einen Kaffee mit – oder einen Tee, wenn sie das lieber mögen. Ich war in letzter Zeit ein wenig aufgekratzt und möchte mich entschuldigen.“ Bis die Tür hinter ihr zufällt, hat die Sekretärin sich noch im Griff, doch dann schaut sie, als habe sie gerade einen Geist gesehen. Nicht, dass Liz Ames keinen Grund hätte, sich zu entschuldigen. Allzuoft geht sie schroff mit ihr um, behandelt sie wie eine Bedienstete. Dass die Anwältin im Moment eines Triumphes allerdings nicht überheblich, sondern mit einer Entschuldigung reagiert, verblüfft sie maßlos.
„Ich wüsste wirklich gerne, wo die anderen gerade sind“, bringt Sally Marsh hervor. Chartrand lächelt und streicht ihr eine Strähne ihres Haares aus der Stirn. Vorsichtig, um sie nicht zu verschrecken, streicht er danach über ihren Nacken. „Das ist das Schwierige an solchen Missionen. Du musst Dich darauf verlassen, dass die anderen das Richtige tun.“ Sie muss grinsen: „Tun WIR denn das Richtige, Sylvain?“ In der schmalen Koje haben sie kaum eine Wahl, als engsten Körperkontakt zu haben, obwohl es schon die etwas komfortablere Kabine des Kommandanten ist, in der Sally Sylvain Gesellschaft leistet. Der Kommandant lächelt: „Was das Boot angeht: Ja, definitiv. Wir sind immer tief genug, dass wir von Satelliten nicht anhand unseres Wärme-Signals geortet werden konnten. SONAR-Netze gibt’s hier nur wenige, allerdings haben wir auch die, die ich kenne, sicher umgangen. Was uns beide angeht: Das musst du mir sagen. Von meiner Warte tun wir das Richtige, aber zu diesem Spiel gehören stets zwei, ma chère.“ Für einige Momente zögert sie, dann kuschelt sie sich noch etwas enger an ihn. „Marshall und Esther sagten mir beide, dass du – mich magst. Ich war etwas blind.“ Er hebt einen Zeigefinger und bewegt ihn hin und her: „Das ist keine Antwort auf meine Frage.“ Sie grinst und vertröstet ihn: „Frag‘ mich nochmal, wenn wir wieder auf Ni’ihau sind. Das hier ist ziemlich außerhalb von Raum und Zeit.“ Es klopft leise an der Tür der Kabine. Chartrand sieht Sally fragend an, sie nickt, also ruft er: „Herein!“ Es ist die Kommandantin der dritten Schicht, eine Mittdreißigerin namens Carmen Ochoa Sanchez. Sie hebt die Brauen, fasst sich dann aber schnell: „Sir, wir umgehen gerade ein Kriegsschiff. Vermutlich ist es ein australisches, ANZAC-Klassen-Fregatte, wenn wir nicht falsch liegen. Wir sind gegen deren Fahrtrichtung ausgewichen und haben auf halbe Fahrt verlangsamt, um leiser zu sein.“ Chartrand nickt und erwidert: „Gut gemacht, Carmen. Wir sollten vorsichtig sein, wenn eine ANZAC hier herumkurvt, könnten auch eine Collins-Klasse oder ein Hobart-Klassen-Zerstörer in der Nähe sein. Oder beides, dann würde ich mit noch mehr Fregatten rechnen.“ Ochoa nickt, sie denkt sich ihren Teil: Vor den Überwasser-Schiffen hat sie wenig Angst, aber ein Collins-Klassen-U-Boot der Royal Australian Navy würde ihr Sorgen bereiten: „Ich hänge mich an den zweiten SONAR-Platz, damit wir keine Überraschungen erleben, Sir.“ Sie schließt die Luke wieder hinter sich. „Da geht sie hin, die Geheimhaltung“, schmunzelt Sylvain. Sally brummt etwas, das wie „Ist mir egal“ klingt, und legt sich etwas bequemer hin, als er aufsteht und hinüber in die Zentrale geht.