Folge 1.40: Am Ende

Die Sonne steigt langsam über die Linie, an der sich Ozean und Himmel berühren. Es ist ein klarer Tag auf Hawaii, und die Sicht vom Howard-Anwesen im Osten von Oahu ist klar und frei. Die „Charlotte Howard“ dümpelt vor dem Strand vor Anker, Willard Sanders macht gerade Pause vom Joggen, da er Kapitän Ichigo Sakamoto am Geländer über dem Steilufer lehnen hat sehen. Der Japaner lächelt: „Sie halten sich in Form, Willard-kun. Für die Mädchen?“ Sanders lacht: „Die interessantesten Frauen nehmen mich weder wegen der Autos noch wegen der Muskeln oder der Ausdauer wahr.“ Sakamoto lächelt und tippt im Stillen auf Sally Marsh und Esther Goldstein-Howard. Dann kommt ihm in den Sinn, dass seine Tochter Mai sich gerne der Gruppe anschließen möchte und damit wohl auch einen Teil ihrer Zeit in Sichtweite von Sanders verbringen wird. Nach einem kurzen, reflexhaft finsteren Blick stellt er sich die Frage, ob Sanders ihn als Freund seiner Tochter stören würde, kann es aber nicht beantworten. Besser als Corey Callaghan wäre Sanders allemal, bodenständiger und weniger radikal. Sanders hat trotz Sakamotos Schweigen kein Problem, das Gespräch allein am Laufen zu halten: „John meint, es habe wohl einen Unfall eines japanischen Walfangschiffes irgendwo südlich von Australien oder Neuseeland gegeben. Er hört wieder irgendwelche Marine-Kanäle ab, vermutlich hat er irgendwo einen Freund bei der Royal Australian Navy. Manchmal ist es erschreckend, wie viel ‚Higgins‘ in ihm steckt.“ Der Japaner runzelt die Stirn. Dann fragt er vorsichtig: „Denken sie, es gibt Probleme dort?“ Sanders wiegt den Kopf hin und her, dann erwidert er, man werde es wohl erst erfahren, wenn die Boote zurückkehrten. Dann läuft er weiter. Als er ins Haupthaus kommt und zum Duschen in den Flügel der Angestellten geht, nimmt Hiller gerade die Post entgegen: „Ein Einschreiben für das Howard-Anwesen, annehmbar von Mr. John Hiller, Mr. Willard Sanders oder Mrs. Esther Goldstein-Howard. Da war aber jemand gründlich!“ Der Bote zuckt die Schultern. „Sie sind Mr. Hiller, das genügt mir.“ Trocken erwidert Hiller, ihm genüge es auch, Mr. Hiller zu sein. Dann besieht er sich den Umschlag und wiegt den Kopf hin und her. Er brütet noch immer darüber, als Sanders vom Duschen zurückkehrt. „Mach schon auf, John. Es ist ‚für das Howard-Anwesen‘. Wenn es für Esther persönlich wäre, stände das drauf, nicht wahr?“ Dass er das eigentlich für Hiller typische, britische Question-Tag verwendet, nimmt Hiller gar nicht wahr. Er nickt und öffnet den großen Umschlag – um mit sorgsam verhehlter Enttäuschung festzustellen, dass noch ein Umschlag drin ist. Auf dem steht: „Esther Goldstein-Howard. Persönlich.“ Sanders versteckt seine Enttäuschung unter einem ironischen Lachen und tritt in Shorts und Polohemd auf die Terrasse, wo Sakamoto gerade Zeitung liest. Hiller folgt den beiden etwas später mit dem Frühstück – Eier mit Speck, Toast, aber auch Baked Beans serviert er. Nervös sind alle drei, da sie nicht wissen, was im eisigen Süden des Pazifik und Indik gerade mit den drei U-Booten geschieht, aber das deftige Frühstück hilft zumindest zeitweise, die Sorgen zu überdecken.

Colette Williams lehnt sich in dem bequemen Sitz zurück und sieht hinüber zu Liz Ames: „Danke für’s Mitnehmen. Mit wem kreuzen sie die Klingen?“ Liz grinst: „Vermutlich abermals mit der Chefin. Für die habe ich aber eine Überraschung… wertet vielleicht ihre Position auf, Colette.“ Williams runzelt die Stirn und stellt dann ihre Frage: „Es schwebt eine Ankündigung auf ein Verfahren wegen Geschäftsschädigung gegen Esther Goldstein-Howard und Tom Arden im Raum, dazu steht in Frage, ob die Klage gegen das Howard-Testament zugelassen wird. Sonst noch was?“ Liz lacht: „Ob’s zu der Geschäftsschädigungs-Geschichte überhaupt kommt, keine Ahnung. Die Sache mit dem Testament ist ein Zombie – läuft noch, ist aber bereits tot. Die Gegenseite weiß es nur noch nicht. Ich verfolge auch mit Interesse, aber als Unbeteiligte die Anzeige gegen Unbekannt wegen des Brandes in Halle E17. Wenn nochwas kommt, trifft es mich ahnungslos.“ Die Justiziarin von Howard Industries lacht: „Da sind meine drei Anträge auf einstweilige Verfügungen ja todlangweilig.“ Liz kichert und erklärt, es sei überhaupt nicht langweilig, dass sie zu zweit heute das gesamte Bezirksgericht des Alameda County beschäftigen würden. Als sie ihren Wagen vor dem Gerichtsgebäude parkt, stutzt sie kurz: „Hmm… der Wagen kommt mir bekannt vor. Kennzeichen aus D.C., aber keine offiziellen Markierungen. Jetzt bin ich doch etwas gespannt.“ Doch Williams hat keine Zeit, ihren Gedanken zu folgen. Sie eilt kurz nach dem Portal eine Treppe hinauf, um die erste Antragsanhörung nicht zu verpassen. Liz schlendert in Richtung eines anderen Saals und stutzt abermals: FBI-Agentin Cynthia Crown und CIA-Agent Marc Bannister stehen bei Kaffee aus Styroporbechern an einem Stehtisch zusammen. Beide kennt sie flüchtig, da sie teils die Untersuchung zum Brand der Halle begeleitet hat. Sie beschließt, einen Kaffee zu brauchen und tritt an den Automaten. Bannister sieht sie: „Oh, Miss Ames! Guten Morgen.“ Als Liz mit ihrem Kaffee bei den beiden steht, fragt Bannister: „Was führt sie heute hierher, Miss Ames?“ Liz grinst: „Irgendwie alles. Wenn ich sehe, dass sie beide hier sind, hab‘ ich vermutlich sogar noch eine Verhandlung, bei der ich gerne zusehen würde, wenn sie öffentlich ist.“ Crown zuckt die Schultern. Sie verhehlt nur schlecht, dass sie Liz Ames nicht leiden kann, und ihre Antipathie wird von Bannisters Interesse für Liz‘ Ausschnitt nicht gelindert. Dennoch wirft sie ein: „Die Sache ist durch. Vermutlich muss sich Howard Industries irgendeinen anderen Schuldigen für die Inkompetenz in dem Projekt suchen, statt einen nicht existierenden Brandstifter.“ Liz zuckt die Schultern: „Ich vertrete Mrs. Goldstein-Howard und Mr. Arden. Ich hoffe nicht, dass Mrs. Howard-Fielding es darauf ankommen lässt, dass wir das Andenken von Dr. Callaghan besudeln. Es ändert ja eh nichts.“ Bannister zuckt die Schultern: „Ich habe da was ganz anderes gehört…“ Liz horcht auf, aber Bannister winkt ab: „Werden sie schon noch sehen. Ich glaube nicht, dass das ihr Kampf wird, Liz.“ Die Anwältin grinst: „Ich kämpfe in vielen Arenen. Nun muss ich aber los. Ich vermute, man sieht sich!“ Damit eilt sie davon. Crown mustert Bannister irritiert, doch sie sagt nichts dazu.

Nicolas Howard betritt die Firma seines älteren Bruders mit einem mulmigen Gefühl. Seit vielen Jahren hat er sich anderen Dingen gewidmet, und nun ist er doch wieder hier in Oakland. Am Empfang wird er gleich zur Chefetage gewiesen, aber er fragt sich erstmal zu Thomas Arden durch – schließlich seien weder Dorothy und Charles Junior noch Esther Goldstein-Howard anwesend. Er nickt Cris Benitez zu und drückt Arden dann kräftig die Hand. Schließlich fragt er: „Mr. Arden – die Firma hat ein Problem. Sie haben gerade in einer kritischen Situation schnell und beherzt eingegriffen, daher komme ich zu ihnen, außerdem wissen sie schon Bescheid.“ Er wirft einen Blick zu Cris Benitez, aber Arden schüttelt den Kopf: „Cris ist auf Zuverlässigkeit überprüft. Es geht um das Navy-Projekt, richtig?“ Nick Howard nickt und lächelt gequält: „Das gibt eine wirklich saftige Schadensersatzklage durch den den Bund, wenn wir nicht nachweisen können, dass sie – das WIR schon weiter waren, als es erscheint. Das FBI sagt, es war ein Unfall, dass die Halle brannte. Sie haben nichts gefunden, was auf einen weiten Fortschritt des Projekts hindeutet. Einen Unfall kann die Navy uns nicht ankreiden, wohl aber Lügen über den Projektfortschritt.“ Arden wird blass und stößt hervor: „Und da kommen sie zu MIR, Mr. Howard? Ich gehörte zu dem Projekt. Ich bin befangen. Außerdem haben wir dokumentiert…“ Nick Howard winkt ab. Er wisse, dass Dr. Callaghan ihn und Esther über den Fortschritt des Projekts getäuscht habe. Aber was wäre, wenn die Täuschung nicht so weitgehend gewesen wäre? Arden flüstert: „Dann müssten wir zeigen, dass wir doch solche Beschichtungen bauen und auf U-Booten auftragen können, Mr. Howard.“ Nick erklärt, dass er genau diesen Nachweis von Arden haben wolle. Zur Not solle er die Entwicklungsarbeit nachholen und sie Callaghan zuschreiben. Als Nick Howard in Richtung Chefetage weitergeht, sehen Cris und Tom sich an: „Mann, das ist ein dicker Hund“, stößt Cris hervor. Tom seufzt und gibt ihr völlig recht.

Als Dorothy Howard-Fielding in den Gerichtssaal im Bezirksgericht von Alameda County kommt, sitzt Liz Ames bereits an ihrem Platz. Die älteste Tochter Charles Benjamin Howards sieht etwas zerzaust aus, da sie gerade vom Flughafen kommt. Dann realisiert sie, dass Claire Howard bereits da ist – als einzige der fünf Erben, von Dorothy abgesehen. Dorothy eilt nach vorne, lässt sich neben Claire in den Sitz fallen und flucht: „Verdammte Verspätung. Haben sie schon angefangen?“ Claire schafft es nicht, ihr schlechtes Gewissen zu verbergen. Sie zögert nur kurz, dann flüstert sie: „Ich fürchte, ich habe… euch sabotiert.“ Dorothy runzelt die Stirn, doch die Richterin gibt ihr keine Zeit für eine Rückfrage: „Wir BEGINNEN nun. Dem Gericht wurden neue Informationen zugänglich gemacht, die die Sache in einem neuen Licht erscheinen lassen. Miss Ames?“ Liz richtet sich auf, sie sieht entschuldigend hinüber zu Claire und Dorothy. Dann tritt sie drei Schritte vor: „Aufgrund neuer Informationen beantrage ich, die Klage gegen das Testament von Charles Benjamin Howard nicht zuzulassen. Uns wurde, aufgrund einer Verfügung von Mr. Charles Benjamin Howard selbst, durch Mr. Aldred die vorherige Version des Testaments zugänglich gemacht…“ Sie spricht fast zehn Minuten, in denen Landsman dreimal zu unterbrechen versucht. Die Richterin wiegelt ihn beim dritten Mal ab: „Mr. Landsman! Neben ihrem Platz liegt eine Mappe mit den neuen Dokumenten, und zwar seit sie hier im Saal sitzen.“ Landsman biegt sich wie unter einem Schlag. Er starrt auf die Mappe, die ihm bisher nicht aufgefallen ist. Dorothy blinzelt heftig und sieht fragend zu Claire, die unter ihrem Blick den Kopf einzieht. Die Richterin schüttelt den Kopf: „Miss Ames, kommen sie wohl bitte endlich zur Sache!“ Liz nickt: „Sehr wohl. Nun: Mr. Charles Benjamin Howard fasste nach seiner Scheidung ein neues Testament ab. Mr. Landsman und seine Kollegen haben seit Beginn dieser Verhandlung unterstellt, dass das verlesene, vor anderthalb Jahren abgefasste neue Testament von Mr. Howard zuungunsten der Howard-Familie ausfiel. Mr. Howard hinterließ allerdings eine Verfügung, dass dieses Testament einer Person ausgehändigt werden solle, wenn diese frage. Sie fragte und händigte uns eine von Mr. Aldred beglaubigte Kopie des vorheringen Testaments aus.“ Dann beginnt sie vorzulesen. Dorothys Gesicht wechselt von irritiert zu wütendrot und dann zu aschfahl. Landsman steht der Mund offen. Liz legt die Kopie zur Seite: „Und da die Anteile von Mr. Nicolas Howard, Mrs. Dorothy Howard-Fielding, Mr. Charles Benjamin Howard Junior und Miss Claire Howard exakt Null gewesen wären, bevor Mr. Charles Benjamin Howard sein Testament unter anderem zugunsten von Mrs. Esther Goldstein-Howard änderte, beantrage ich, die Anfechtung abzuweisen. Dies soll auch die Ansprüche der Howard-Familie schützen, die bei einem Rollback auf die vorherige Version gänzlich leer ausginge. Vielen Dank!“ Als sie sich setzt, fragt die Richterin: „Möchten sie die Anfechtung zurückziehen, Mrs. Howard-Fielding?“ Dorothy konsultiert Landsman gar nicht erst. Sie nickt: „Ja. Wir haben keinen Fall.“ Die Richterin schlägt ihren Hammer auf den Tisch: „Dieses Gericht wird sich nicht mit der Anfechtung des Testaments von Mr. Charles Benjamin Howard befassen. Die Kosten des Verfahrens tragen Mr. Nicolas Howard, Mrs. Dorothy Howard-Fielding, Mr. Charles Benjamin Howard Junior und Miss Claire Howard. Das Verfahren ist hiermit geschlossen.“ Als Dorothy Claire zu Bob Landsman zieht, folgt diese nur widerstrebend. „Wer, Landsman? WER hat Liz Ames dieses verdammte Testament organisiert?“ Landsman schluckt betreten – so sehr ihn die krachende Niederlage schmerzt, die er eben erlitten hat, so deutlich steht ihm vor Augen, wie Dorothy auf das reagieren wird, was er eben in der Mappe gelesen hat. Doch Claire kommt ihm zuvor: „Ich war’s, Dorothy. Ich habe erfahren, dass mein leiblicher Vater das vorherige Testament zu meiner Einsicht bei Mr. Aldred hinterlegen ließ. Zu NUR meiner Einsicht. Ich fand, unter diesen Umständen…“ Dorothy blinzelt, ihre Hand zuckt, aber sie gibt Claire keine Ohrfeige. Nicht vor Gericht, unter den Augen der Presse. „Du hättest zu uns kommen können.“ Claire nickt und bekennt, nicht daran gedacht zu haben. Dass sie befürchtet hatte, Dorothy und Charles Junior hätten das Ganze einfach totschweigen können, sagt sie nicht. Dorothy schüttelt den Kopf, dann flüstert sie: „Geh‘. Geh‘ einfach. Charles hat dich dazu überredet. Ich weiß, dass du nicht hinter der Sache standest. Aber das – geh‘ einfach, Claire, und lass dich bei den Howards NIE mehr sehen.“

Colette Williams und Liz Ames stehen etwas später in der letzten Reihe eines anderen Saales. Drei einstweilige Verfügungen hat Williams mit Hilfe von Liz‘ Vorarbeit beantragt, drei hat sie bekommen. Die Presse darf diverse Spekulationen über Howard Industries nicht mehr verbreiten, da sie nicht erwiesenen Tatsachen entsprechen. Dorothy Howard-Fielding hat die beiden gelobt, auch wenn ihr das bei Ames merklich schwer fiel. Nun steht Bob Landsman im kleinen Saal und verkündet, nach einiger Vorrede: „…und aufgrund der genannten Verfahrensfehler in der Ausschreibung sehen wir es als erwiesen an, dass der Vertrag zwischen Howard Industries Ltd., vertreten durch Geschäftsführerin und Teilhaberin Dorothy Howard-Fielding und der United States Navy, nur aufgrund dieser Verfahrensfehler zustandekam. Da das Ausschreibungsverfahren nicht rechtmäßig durchgeführt wurde, wird durch diese Feststellung auch der Vertrag über die Erbringung von Leistungen, namentlich der Entwicklung eines Kunststoffes für spezielle Beschichtungsanwendungen, nichtig.“ Williams stößt Ames an, doch dieser steht der Mund offen. Dann flüstert sie begeistert: „Gut gespielt, Dorothy. Alle Achtung!“ Dass ein Gutteil ihrer Begeisterung daher rührt, dass sie damit wahrscheinlich keine Klage gegen Tom Arden und Esther fürchten muss, enthält sie Williams vor. Dann grinst sie: „Lassen sie uns mal gleich in den Archiven suchen – sie haben Meriten im Unternehmen zu verdienen, ich habe gutzumachen, dass ich Claires Verrat an ihr eingefädelt habe. Lassen wir Bob Landsman nicht den ganzen Ruhm, okay?“ Noch bevor die Verhandlung richtig in Schwung kommt, sitzen Williams und Ames wieder im Auto und fahren zurück zur Konzernzentrale.

Auf der „Aphrodite“ flüstert Esther mit Corey Callaghan: „Ein Leck haben wir nicht. Aber die Batterien in der oberen Hülle sind kaputt. Das ist ein irreparabler Schaden, Corey.“ Callaghan flüstert ebenso leise zurück: „Und wenn wir nicht davonkommen, macht uns dieses U-Boot den Garaus, wenn die nicht schon hinter uns her sind.“ Sie schüttelt den Kopf. Das U-Boot sei ein australisches, es helfe gerade bei der Evakuierung des Walfang-Schiffes. Das sei aus den Geräuschen eindeutig hervorgegangen. Erst, wenn diese Evakuierung abgeschlossen sei, werde das U-Boot sich auf die Suche machen, ob der seltsame, hinter der Schule zurückgebliebene Seiwal auch wirklich ein Seiwal sei. Doch beiden ist klar, dass das eine vage Hoffnung ist. Das Meer ist tief genug, um die „Aphrodite“ so zu versenken, dass niemand sie je finden wird. Aber ob die Besatzung davonkommen wird, weil rechtzeitig eines der beiden anderen Boote da sei, stehe auf einem anderen Blatt. Vorsichtig, wie eine Mutter, die ihre Kind badet, bringt die Rudergängerin das U-Boot immer wieder zwischen den Seiwalen hoch, taucht dann wieder eine Strecke. Von leisen Schraubengeräuschen abgesehen ist das U-Boot ein Teil der Seiwal-Schule geworden, auch wenn es etwas zu groß ist. Drei Stunden entfernen sie sich schon von der Stelle der Havarie, haben fast achtzig Seemeilen zwischen sich und die Rettungsaktion gebracht. Plötzlich merkt der Mann am SONAR auf: „Mrs. Howard, Mr. Callaghan… da kommt ein Hubschrauber von Südosten. Vermutlich groß, kommt uns entgegen. Er wird uns in ein paar Minuten überfliegen – ich glaube nicht, dass man bei dem Seegang und diesem Regen und Sturm irgendetwas sieht, aber…“ Nach kurzer Beratung beschließen Esther und Corey, dass die „Aphrodite“ auf fünfzig Meter Tiefe gehen soll. Man wolle nichts riskieren. Langsam sinkt das Boot etwas ab, wird dabei etwas schneller. „Bei dem Lärm durch Seegang und alles andere hört uns keine Sau, der nicht gerade direkt vor unserer Nase rumdümpelt…“, erklärt die Navigatorin. Dennoch lauschen alle wie gebannt den ausgefilterten Geräuschen des Hubschraubers, wie sie über der Oberfläche näher kommen, lauter werden, dann langsam wieder leiser werden. Gerade wollen alle aufatmen, da schrillt ein Alarm los. „Auftauchen, SOFORT!“, brüllt Esther. Der höhere Wasserdruck hat das Boot beschädigt, durch einen schmalen Riss dringt Wasser ein. Noch ist das Leck klein genug, dass die Pumpen die Trimmung schnell genug ins Positive drängen, schneller, als Wasser in den Rumpf läuft. Aber eines ist sicher: Die letzte Fahrt der „Aphrodite“ wird hier enden, im stürmischen Süden, irgendwo an der Grenze zwischen indischem Ozean, pazifischem Ozean und antarktischem Ozean. „Sendet Codefunk in Richtung der Operationsgebiete von Marshall und Sylvain. Wir brauchen deren Hilfe. ‚Aphrodite‘ wird hier absaufen. Wenn wir überleben wollen, müssen die uns retten.“ Esther lehnt sich nach diesem Befehl gegen eine Wand. Sie stöhnt. Corey versucht, einen Arm um sie zu legen, doch sie wehrt ihn ab: „Das ist nicht das Ende, Corey. Und wenn es das Ende wäre, würde ich trotzdem ‚Nein‘ sagen.“ Callaghan beißt sich auf die Lippen. Dann geht er Richtung Bug, klettert die Leiter hinauf und versucht verzweifelt, sich nützlich zu machen – oder wenigstens die Rettungsinseln, die eigentlich für einen ganz anderen Zweck auf dem U-Boot waren, bereit zu machen.

Noch immer viel weiter südlich empfangen „Nereide“ und „Tethys“ den als Rauschen codierten Notruf ihres Schwesterschiffes. Weder Wells noch Chartrand zögern auch nur eine Sekunde. Selbst wenn der Walfänger, der gerade zur Rettung seiner Kameraden viel weiter nordöstlich braust, auf sie lauscht, ist es ihnen egal. Sie geben den Befehl aus, mit voller Kraft nach Nordosten zu fahren.

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