Folge 2.3: Seenot

Auf dem Deck der „Aphrodite“ arbeiten drei Gestalten in engen, schwarzglänzenden Anzügen, so dass sie kaum vom ebenfalls schwarzglänzenden Rumpf des Bootes zu unterscheiden sind. Wellen überspülen das Deck, und so gleicht es einem kombinierten Glücks- und Geschicklichkeitsspiel, mit Hilfe eines speziellen Kunststoffschweißgeräts die Risse in der Hülle flicken zu wollen. Langfristig ist an eine Reparatur ohnehin nicht zu denken, das Boot ist irreparabel beschädigt. Lediglich, um noch etwas länger durchzuhalten, bis hoffentlich „Nereide“ und „Tethys“ zur Rettung eintreffen, unternehmen sie die Versuche, das Boot notdürftig mit speziellem Howard-Industries-Kunststoff abzudichten. „Brecher!“, brüllt der Matrose auf dem Deck, der eigentlich als Maschinist auf dem Boot dient. Dass die Bezeichnung nicht korrekt ist, wird schnell irrelevant, als eine riesige Welle das Heck des U-Boots mächtig anhebt, so dass sich alle drei festzukrallen versuchen, ausgleiten und dann von einer acht Meter hohen Wasserwand mitgerissen werden. Hektisch greifen sie nach den Seilen, als der Schmerz durch den rabiaten Kampf zwischen der mächtigen Woge und den Halteseilen abflaut. Erst dann schauen sie sich um, doch es liegen nur zwei Gestalten verzweifelt auf das Deck gedrückt. Ein Halteseil baumelt frei, es ist das von Esther Goldstein Howard. „Esther“, kreischt die Frau in die Funkmaske des Anzugs, und bekommt und einen wüsten Fluch und ein Wimmern von der Milliardärswitwe zurück. Corey Callaghan fragt panisch: „Was? Was ist? Antwortet, verdammt!“ Doch keiner der drei, die auf dem Deck des Bootes arbeiteten, gibt dem Mann in der Zentrale eine Antwort. Dass auch das Kunststoff-Schweißgerät über Bord gespült wurde, beachten sie nicht, haben es noch nicht einmal gemerkt. Esther stößt nach zehn angestrengten Atemzügen hervor: „Torpedo-Klappe. Daran halte ich mich.“ An ihren Halteseilen kämpfen sich die SONAR-Frau und der Maschinist in ihren Anzügen bis auf den Bug, dann können sie Esther sehen, die jeden Moment abzurutschen droht. Jedes Schlingern, jede Welle macht die Hilfe für Esther etwas unmöglicher, Coreys verzweifelte Anrufe bemerkt keiner der drei. Mit den Saugnäpfen auf den Stiefeln klettert schließlich die Frau am Bug herunter, um das Seil an Esthers Gürtel zu befestigen. Oben auf dem Deck bemüht der Maschinist sich verzweifelt, die Seile so festzuhalten, dass die Rettungsaktion nicht noch schwerer wird. Dann drückt sich die junge Frau fest an Esther, greift an ihren Gürtel und versucht, den Karabiner auch an den Gürtel der Chefin zu haken… doch in diesem Moment wird das Heck des Bootes von einer weiteren Welle angehoben. Krampfhaft umschlingen Esther und die Frau sich, um nicht weggespült zu werden. Für einen Augenblick scheint es, als habe sich der Karabiner von beider Gürtel gelöst, doch dann werden sie heftig zurückgerissen und schlagen hart gegen die Rundung des Bugs. Noch fester umklammern sich die beiden Frauen, während der Maschinist panisch und unartikuliert in den Funk brüllt. Für Callaghan scheinen es Stunden zu sein, doch es dauert nur etwa eine halbe Minute, bis er sich beruhigt. „Esther und Anna hängen am Seil vor dem Bug. Sie kommen nicht hoch. Der Schweißer ist weg. Scheiße!“

„Funkkontakt“, meldet Carmen Ochoa Sanchez in Brüll-Lautstärke. Sally fügt an: „Zweitausend Meter, vielleicht dreitausend. Es ist ‚Aphrodite‘. Bis jetzt keine Kontakte innerhalb vierzig Kilometern.“ Chartrand reagiert quasi ohne Zeitverzögerung. Er befiehlt, den Antrieb mit halber Kraft zurücklaufen zu lassen und aufzutauchen. Sanchez berichtet, was sie im Funkverkehr gehört hat, dann fragt sie bei Callaghan nach dem Status der „Aphrodite“. Endlose Sekunden vergehen, in denen alle auf dem Boot sich die furchtbarsten Szenarien überlegen, was auf der „Aphrodite“ passiert sein könnte. Doch dann hören sie Callaghans stockende Stimme: „Ich- ich wollte gerade einen allgemeinen Notruf senden. Das Boot… es ist kaputt. Irreparabel. Wir müssen es versenken. Esther und die anderen sind draußen. Sie wollten zumindest mit Kunststoff die Lecks flicken. Jetzt hängen Esther und Anna am Seil. Ihr müsst uns helfen! Schnell!“ Das Flehen Callaghans wird immer verzweifelter, während Chartrand das Boot neben der „Aphrodite“ längsseits bringt und seine Leute anleinen lässt. Die Evakuierung der Besatzung in das andere Boot läuft an, während sich Carmen und Sylvain selbst auf das vordere Deck des havarierten Bootes tasten. Zuerst finden sie den starr am Seil hängenden, leblosen Maschinisten. Hektisch befiehlt Chartrand, den Mann an seiner Halteleine zurück zum Turm zu ziehen und an Bord der „Tethys“ zu nehmen. Die „Nereide“ taucht derweil auf der anderen Seite des havarierten Schwesterboots auf. Kurzentschlossen befiehlt Wells, den Rest der Besatzung der „Aphrodite“ auf sein Boot zu evakuieren. Er selbst leint sich an, um Sylvain und Carmen zu helfen. Als sie an dem Seil ziehen, tut sich zunächst nichts. Dann geht es plötzlich ganz leicht, das Seil einzuholen. Marshall und Sylvain stoßen zugleich Flüche hervor, sie fürchten, beide verloren zu haben- doch Carmen kreischt auf. Zwei Körper hängen am Seil, eng umschlungen. Fast werden sie alle von einer neuen Monsterwelle weggespült, dann ist ein häßliches Knirschen im Funk zu hören. Wie in Zeitlupe lösen sich die umeinander gekrampften Arme – eine der beiden Frauen hält sich noch etwas länger fest. „Sie sind am Seil“, brüllt Carmen triumphierend in den Funk, doch dann gleitet einer der beiden Körper über die Rundung des Bugs davon, wie ein nasser Sack, plötzlich sehr schnell. Rasch, nun wie im Zeitraffer versinkt, ja stürzt der in schwarzglänzendem Howard-Industries-Superrubber gekleidete Frauenkörper in die Tiefe des aufgewühlten Meeres. Wie erstarrt sind die anderen, für endlos wirkende Sekundenbruchteile. Dann reißen sie heftig am Seil und zerren die andere Frau hinauf. Wells schleppt den Körper auf seinen Rücken geworfen zur „Nereide“, während Ochoa Sanchez zurück zur „Tethys“ hetzt. Nur Sylvain Chartrand verbleibt noch auf dem Wrack der „Aphrodite“, kämpft sich zum Turmluk und will hinein steigen. Da ist plötzlich Sallys Stimme im Funk: „Corey hat die Ventile aufgedreht. Komm zurück, Sylvain, schnell! Eh sie uns mit runterreißt!“ Der Franzose polynesischer Abkunft zieht etwas vom Gürtel, reißt einen Splint heraus und lässt die Granate in das Turmluk fallen. Dann springt er an Bord seines Bootes und schlägt die Luke hinter sich zu. „Weg hier, so schnell es geht! Das gilt auch für ‚Nereide‘! Allons-y!“

Marc Bannister runzelt die Stirn, als eine Mappe auf seinem Tisch landet. Die Notizen auf der Mappe legen nahe, dass der Inhalt hochsensibel sei, außerdem haben mehrere Analysten, deren Zeichen er nicht richtig deuten kann, das Material begutachtet. „Satellitenbilder… hmm…“, brummelt der CIA-Agent. Er erkennt die Wärmesignaturen zweier U-Boote und mehrerer Schiffe. Der Satellit stand schon recht tief über dem Horizont, als die Aufnahmen gemacht wurden. Dann liest er den Begleittext und schluckt: ein havariertes Walfangschiff mit beschädigtem Antrieb, zwei Schiffe und ein U-Boot der Royal Australian Navy. Bannister runzelt die Stirn, da über das zweite U-Boot keine Angaben notiert sind. Nur ein Post-It klebt auf dem Hochglanz-Ausdruck: „Vermutlich dieselelektrisches Boot, Volksrepublik China.“ Bannister verwirft einen Gedanken, der in seinem Kopf aufflammte, gleich wieder. Ein nie gebauter U-Boot-Prototyp aus Kalifornien, der sich im südlichen Indik herumtreibt, erscheint ihm sehr abwegig, auch wenn er verinnerlicht hat, dass berufstypische Paranoia nicht bedeuten muss, dass die paranoiden Gedanken falsch seien. Oder vielleicht doch nicht? Der CIA-Analyst zögert, dann beschließt er, seine Bewertung des Bildes noch einen Moment sacken zu lassen, bevor er es abzeichnet und weitergibt. Besteht doch die vage Möglichkeit, dass Corey Callaghans gefälschte Mitteilungen an Esther Goldstein-Howard und Thomas Arden nur eine weitere Schicht der Täuschung verbergen sollten? Doch wer könnte ein Interesse haben, den tatsächlichen Bau solcher U-Boote zu verschleiern und dem Hersteller solche Probleme mit der Navy einzubrocken, wenn die technischen Probleme eigentlich gelöst waren? Seufzend legt er sich die Akte auf Wiedervorlage am nächsten Morgen und nimmt sein Telefon in die Hand: „Jack? Ich würde jetzt Mittagessen gehen. Ich glaube, ich bin völlig paranoid. Ja, der Howard-Fall lässt mich Gespenster sehen.“ Der Kollege am anderen Ende will nicht wissen, was für Geister Bannister zu sehen glaubt, er bestätigt nur die Verabredung zum Mittagessen und kommentiert vor dem Auflegen: „Wir sind doch alle paranoid hier, Marc. Ich habe genug eigene Paranoia, ich brauche deine nicht auch noch. Bis gleich in der Kantine!“

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