Folge 2.16: In der Tiefe

Auf den beiden Trawlern herrscht helle Aufregung. Wütend gestikuliert ein Mann an der Reling des einen Fischfang-Schiffes und brüllt über 10 Meter Wasser hinweg auf einen ein, der auf dem anderen Schiff steht und nicht minder aufgebracht ist. Keiner von beiden bemerkt über den Streit, den sie zuvor schon per Funk geführt haben, dass fast zwei Seemeilen entfernt etwas aus den langgezogenen Wogen herausragt.

Corey Callaghan starrt fasziniert durch das Periskop. Er bringt damit Marshall Wells in eine Zwickmühle – einerseits ist der Triumph, den Corey empfindet, sicherlich der Beruhigung innerhalb der Truppe förderlich, andererseits… „Corey, lass‘ gut sein. Das Problem am Periskop ist, dass wir dazu neigen, uns die Welt ein bisschen zu lang anzuschauen.“ Ethan Cummings wird sich des Blicks seines Kommandanten bewusst, nachdem er diese Worte ausgesprochen hat. Das seltsame Changieren zwischen Applaus und Tadel irritiert ihn, aber er denkt nicht einmal daran, Marshall vor Corey zu fragen, was den Zwiespalt auslöst. Corey nickt: „Klar, wollen ja nicht auf Satellitenfotos erscheinen.“ Er betätigt einen Knopf, fast im selben Augenblick sinkt das Deck leicht vornüber und die „Nereide“ gleitet in die Tiefe des Atacama-Grabens. Zehn Schleppnetze gehören zur Beute – je drei haben sie bei dem chinesischen und dem peruanischen Trawler abgeschnitten, deren Streit Corey im Periskop beobachtete. „Irgendwann werden sie auf die Idee kommen, dass es jemand anderes war, der ihre Netze abgeschnitten hat“, erklärt Marshall, als das Boot in Richtung Westen abdreht und sich wieder von den fischreichen Regionen hinaufsteigenden, kalten Tiefenwassers entfernt. Plötzlich schnalzt Corey mit der Zunge – Ethan und Marshall schauen ihn irritiert an. „Ich hab‘ eine Idee!“, erklärt sich der Chemiker. Die beiden Ex-Militärs schenken ihm nun volle Aufmerksamkeit. Grinsend legt Corey ihnen dar, was er sich überlegt hat – Ethan hebt eine Braue, Marshall kommentiert: „Nicht übel!“ Dass er von den beiden Briten nicht mehr Anerkennung bekommen wird, ist dem Amerikaner bewusst. Dass es ihm dennoch irgendwie zu wenig vorkommt, kann er aber auch nicht verhindern. Wells lässt einen Kurs setzen, der die „Nereide“ fernab der Küsten durch das Peru-Becken bis zu den Galapagos-Inseln führt, von wo es dem Ostpazifischen Rücken folgen soll – um kurz vor Acapulco Kunststoff zu fischen und die Schleppnetze an die Strände anzulanden. „Danach gehen wir deinen Plan an, Corey. Weckt mich, wenn was Ungewöhnliches passiert. Einigt Euch, wer auch schlafen geht, ich löse in sechs Stunden ab.“, erklärt Wells. Ethan überlässt Corey die kommende lange Freiwache, mahnt aber noch: „Schlaf lieber. Das wird langweilig, aber man muss auf den Punkt wieder hellwach sein, wenn was ist.“ Corey nickt und gähnt – er widerspricht nicht, sondern verschwindet in seine Koje.

Auf der „Tethys“ herrscht Hochstimmung. Nicht nur, dass in der Juan-del-Fuca-Strait sieben Tanker antriebslos auf Hilfe warten, lässt die Besatzung Begeisterung empfinden – nein, sie haben die Waffen des kleinen Bootes gar nicht gebraucht, da ein paar Schleppnetze und ein Haufen treibender, recht großer Müll auf der Fahrt von San Francisco in Richtung Norden in ihre Hände fiel. Dieses Material haben sie unter den Schiffen freigesetzt und so deren Schrauben und Ruder blockiert. Marc Walters prostet Carmen Ochoa Sanchez und Sally Marsh mit einem Becher zu, in seinem ist Sekt, Carmen und Sally halten sich an Wasser – genau wie Sylvain Chartrand. „Neun Versuche, sieben Erfolge!“, erklärt Sylvain mit erhobenem Becher. Dann trinkt die Besatzung des Bootes gemeinsam. Die Konflikte in der Truppe scheinen vergessen, während das Boot tief unter der Wasseroberfläche bereits die Südgrenze des Alaska Panhandle passiert. Die ganze Truppe konzentriert sich auf die drei Frauen – Sally, Carmen und eine weitere – und plötzlich wird Marc deutlich ruhiger. Sally wirft einen fragenden Blick zu Sylvain, dieser nickt, woraufhin Sally dem jungen Mann nach vorne in Richtung Frachtraum folgt. Zwischen den präparierten Piratensender-Bojen setzt er sich auf das Deck und lehnt sich an eine der kalten Bojen. Tränen laufen über sein Gesicht, Sally wartet einen Moment, doch dann tritt sie zu ihm heran und legt ihm den Arm um die Schultern. „Hey… du vermisst sie, nicht wahr?“ Er nickt, müht sich, die Tränen zurückzuhalten, aber es gelingt ihm nicht. Als er begreift, dass er Sally ohnehin nichts vormachen kann, gibt er sich seinem Schmerz hin. Ihre tröstenden Worte verändern nichts, aber er wird ruhiger, dann flüstert er: „Anna hätte diese Aktion geliebt. Aber ich kann ihrem Andenken und auch dir nichts vormachen, Sylvain genauso wenig. Auf Dauer wird das hier nicht reichen. Die Bojen sind eine neue Qualität, freilich, aber diese Boote sind für etwas gemacht, das ihnen wirklich wehtun würde, und es gibt mehr als nur Corey und mich, die das wollen.“ Sally erklärt leise: „Wir tun ihnen schon jetzt weh. Wir werden weitere Wege finden. Wir sollten nur nicht zu viel riskieren, nicht nur wegen unserer Entdeckung, sondern auch wegen unseres Seelenfriedens.“ Die geringe, fast nicht vorhandene Überzeugungskraft, die ihre Worte bei ihm entwickeln, lassen sie innerlich frieren, aber sie lässt es sich nicht anmerken.

Dorothy Howard mustert Tom Arden, als wolle sie ihn fressen. Der Ingenieur steht im Konferenzraum in der obersten Etage der Konzernzentrale und soll über die Projektfortschritte berichten. Charles Junior und auch Nicolas sind nicht anwesend, sie haben wohl andere Pläne, aber Colette Williams ist anwesend, ebenso Liz Ames und einige hochrangige Mitarbeiter von Howard Industries. Da Dorothys Sekretärin keine Sicherheitsfreigabe hat, serviert Cristina Benitez Kaffee und kümmert sich auch ansonsten um alles – Dorothy verdaut noch immer die Erkenntnis, dass Benitez eine Sicherheitsfreigabe hat, die das gesamte Projekt umfasst. Tom beginnt mit einigen Spezifikationen, erklärt, was sie geändert haben und welche Auswirkungen das haben sollte. Dorothy rollt mit den Augen, sie will gerade verlangen, dass Tom zum Ergebnis und der Schlussfolgerung vorspringt, da stellt einer der Mitarbeiter aus der Unternehmensführung eine technische Frage. Resigniert lehnt Dorothy sich zurück und zieht die L.A. Post heran, nimmt sie hoch und schlägt die Zeitung auf. Sie bekommt nicht mit, wie Tom hart Luft einsaugt und den Faden bei der Antwort auf die Frage aus dem Publikum verliert, als er die Schlagzeile liest: „Nun auch Acapulco! Abgeschnittene Schleppnetze voller Plastikmüll am Traumstrand.“ Dorothy vertieft sich eher in den Artikel auf der vierten Seite, über wegen Netzen, Müll und Containern in den Schrauben festsitzende Tanker und möglichen Mangel an Nachschub für die Produktion von Howard Industries. Erst als Tom zum Schluss kommt, wird sie wieder aufmerksam: „Die ersten Bläschen kollabieren bei 39 bar, völliger Verlust der Dämpfungseigenschaften tritt bei 42 bar ein. Die Regeneration ist ausbaufähig, bei 33 bar haben wir wieder voll ausgebildete Superrubber-Eigenschaften. In 100 Zyklen verloren wir etwa zehn Prozent der Bläschen endgültig, nach weiteren 100 Zyklen waren es weitere zwölf Prozent der verbleibenden. Wir haben eine Berichtsvorlage verfasst – und wenn der Vorstand einverstanden ist, wäre das ein Zwischenbericht an die Navy.“ Auf die Frage hin, ob man damit das Navy-Projekt erfüllt habe, druckst er herum und erklärt dann mit vielen Worten, dass das nicht unbedingt gegeben sei, aber es Interpretationsspielraum bei den Spezifikationen gebe. Man könne sicher diskutieren, ob das Ziel erreicht sei, aber ein Zwischenziel sei sicher erreicht. Dorothy zuckt die Schultern: „Verkaufen wir’s ihnen doch als das Beste, was wir haben und gucken, ob’s ihnen reicht. Nach dem Pareto-Prinzip wird’s nicht mehr viel besser, wenn wir nicht unmäßig viel mehr Ressourcen hineinstecken.“ Liz Ames versteckt ihre verächtliche Miene hinter der Kaffeetasse, Tom Arden guckt, als habe er in eine Zitrone gebissen. Aber Dorothy ist der Perfektionismus ihrer „Wissenschaftler“ völlig egal, schließlich müsse Howard Industries Geld verdienen.

„Mann, das war echt knapp“, schluckt Corey Callaghan. Wells nickt, er artikuliert mit bemerkenswert wenig britischem Understatement, dass Corey und Ethan sehr schnell und richtig reagiert hätten. „Nereide“ dümpelt im Golf von Kalifornien in der Höhe von La Paz, ganz langsam beruhigen sich die Gemüter wieder. Sie waren bereits auf dem Weg zurück in die Weiten des Pazifiks, als im Sonar ein leises, ungewohntes Geräusch auffiel – Ethan ließ sofort den Antrieb stilllegen und lauschte. Dann schlichen Corey und er leise und langsam weg, um die Südspitze von Baja California herum in den Golf – denn nichts anderes als ein Jagd-U-Boot der 688-Klasse war es, das sie gehört hatten. Zwei, dreimal hatte der irritierte Sonar-Mann des US-Navy-Bootes sogar nach ihnen gepingt, aber der Howard-Industries-Superrubber hat sie gerettet. Inzwischen sind sie sich allerdings sicher, dass das Atom-U-Boot entweder Richtung San Diego oder westlich in den Pazifik verschwunden ist, denn sie haben drei Tage gewartet. „Wir sind nicht unverletzlich“, erklärt Ethan. Corey nickt: „Deswegen müssen wir schnell zuschlagen und verschwinden.“ Dass Ethan Cummings und Corey Callaghan dabei unterschiedliche Missionen im Kopf haben, thematisieren sie nicht. Aber Wells macht sich seine eigenen Gedanken – und als er in seiner Koje liegt, während Ethan Cummings die „Nereide“ schleichend zurück in Richtung offenem Ozean bringt, flüstert er gegen den Stahl der Bordwand: „Verdammt. Ich hatte gehofft, er wäre euphorisch genug, es zu vergessen.“

Die „Tethys“ fährt mit mäßiger Fahrt die Alëuten entlang, jeder an Bord würde gerne hören, was die Sonden senden – aber Sylvain lässt ganz vorsichtig sein Boot erst einmal in Richtung Russisch-Fernost fahren, bevor er sich nach Hawaii wenden will, und hält das Boot getaucht, immer knapp unter der Schicht kalten Oberflächenwassers im Bereich. Das 4,5 Grad Celsius kalte Meer lässt auch die Luft und die Bordwände der „Tethys“ kühl wirken, und Sally zieht die drei Schichten Kleidung nur noch aus, wenn Sylvain mit ihr die Koje teilt. Aufgrund der Alarmbereitschaft, in der das Boot hier an den Grenzen der Operationsgebiete russischer, chinesischer und amerikanischer U-Boote stets ist, bekommt sie nicht oft Gelegenheit, sich von ihm wärmen zu lassen. Immerhin lässt der Nervenkitzel Marc Walters seine Trauer und seine Wut für den Moment vergessen, aber Sally kann nicht umhin, sich auf das warme, weite Anwesen auf Oahu zu freuen. Das schlechte Gewissen, sich darüber zu freuen, während Sylvain und die anderen auf Ni’hau in der vor den Eingeborenen verborgenen Höhle oder in den engen Booten auf Einsatz bleiben müssen, setzt ihr zu, so sehr Sylvain es ihr auch ausreden möchte.

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